Prag, 30.01.2008

Autorenlesung am 28. Januar im ARCOTEL Teatrino
Die Zeit beginnt zu rennen, die Termine drängen sich. Am Montag Abend las ich im Theatersaal des Hotels aus „Nachgetragene Liebe“ und „Leben lernen“, collagierte aus einigen Abschnitten das Porträt meines Vaters, eines jungen Mannes im Brünn der Zwanziger Jahre. Während der Tonprobe und während Lucie Černohousová die Werbematerialien für das Literaturhaus ausbreitete, blieb der Saal bedrohlich leer und ich fürchtete schon allein zu bleiben. Mit einem Mal füllte er sich jedoch bis auf den letzten Platz. Tomaš Dimter, um Jahrzehnte jünger als ich, leitete kundig und behutsam ein und führte ebenso danach ein Gespräch, das auch das Publikum zu Fragen anregte. Ich fühlte mich sicher und wohl. Es dauerte eine Weile, bis sich die Versammlung auflöste, und uns junge Zuhörer in die „Akropolis“ einluden, ein Lokal in der Nähe. Die Akropolis war überfüllt – ein kurioser Satz.
Am Morgen, Nachmittag und am nächsten Morgen gab ich Interviews, immer gespannt auf den Wechsel der Fragen. Zum ARD-Rundfunkstudio nahm uns Lucie Černohousová im Taxi auf die Kleinseite mit. Hinein ins Botschaftsviertel. Polizisten hielten den Wagen an. Wir wurden, da die amerikanische Botschaft sich gleich nebenan befindet, kontrolliert. Die Sicherheit! Ich frage mich, wie in Berlin, am Pariser Platz, wo ich mehrmals im Jahr die Akademie der Künste besuche, der ich seit Jahrzehnten angehöre, wie dort, wenn der Bau der amerikanischen Botschaft beendet ist, die „Sicherheitsmaßnahmen“ aussehen werden – ob wir, wenn wir den Platz überqueren, einen extra ausgestellten und von den Amerikanern genehmigten Pass vorzeigen müssen… Peter Hornung empfing uns in dem Studio, einer Wohnung in einem noblen alten Haus, mit Kaffee und Gebäck. So verwandelte er das verabredete Interview geschickt in ein Tischgespräch. Es ging um die Möglichkeiten und Wirkungen des Stipendiums.
Am Abend – gestern Abend! Ich muss die Stunden ordnen – holte uns Radovan Charvát, wie verabredet, ab, zur Tour, zur Lese-Tour durch Prager Literatur-Cafés. Nach dem Vorbild seiner Lesewanderung – mit Robert Walsers „Gehülfen“. Mir war nicht ganz geheuer zumute, wenn ich an unser Publikum dachte. Gut, Radka Denemarková würde tschechisch lesen und von allen Gästen verstanden werden. Aber ich? Die Lösung, die Radovan – ich ziehe jetzt, die Vertraulichkeit des Tagebuchs nutzend, die Vornamen vor – fand, half uns beiden Vorlesenden, wohl auch den Kaffeehausgästen. Er schlug vor, ich solle willkürlich eine Seite in Radkas Buch „Peníze od Hitlera“ aufschlagen und auf den Abschnitt zeigen, den sie vorlesen soll. Dasselbe geschah mit meinem Buch „Nachgetragene Liebe“. So saßen sich im Café „Dobra Trafika“ eine junge tschechische Schriftstellerin und ein alter deutscher Literat gegenüber und lasen einander vor, unter der Anleitung des moderierenden Übersetzers. Ich verstand nicht, was Radka las, aber ich hörte die Sprünge in ihrer Sprache, die Tempowechsel, die heftike Rhetorik. Und ich meinte hinter der Sprachwand den Erzählraum zu begreifen. Wir tranken, um den Stimmen aufzuhelfen, mährischen Weisswein. Nach einem Blick in ein Hrabal gewidmetes Café, in dem inspiriertes Gedränge herrschte, kehrten wir Vinohrady den Rücken und fuhren hinunter in die Altstadt, zum Café im Theater am Geländer, in dem Radka als Dramaturgin gearbeitet hatte, stießen auf eine späte Runde von Schauspielern, Beleuchtern und Technikern, die uns nicht störten, als wir das Prozedere wiederholten. Radovan versprach noch zwei besonders originelle Lesestätten. Die engen Gassen und unerwarteten Plätze, – der Annenplatz! – kannte ich noch nicht. Unser Spiel und das nächtliche Prag übten ihren Zauber aus. Wir richteten im „Montmartre“ unsere Lesebühne ein, wiederholten, was uns durch die Nacht trieb und zogen weiter quer über die Gasse ins „Týnská Kavárna“ (stimmt das, Radovan?), wo uns freundlich erklärt wurde, dass nur noch wenige Minuten für einen Kaffee blieben. Und die Doppellesung. Vielleicht war diese zweistimmige, zweisprachige Wanderung mit Geschichten durch die Geschichte die Erfüllung meines Prager Aufenthaltes. So etwas lässt sich nicht wiederholen, es lässt sich in anderer Weise fortsetzen, indem ich versuche einen deutschen Verlag für Radkas „Peníze od Hitlera“ zu gewinnen.
Heute Nachmittag kam meine Kinderstadt Olmütz in Gestalt von Professor Ludvik Vaclavyk zu Besuch. Wir hatten einen Nachmittag Zeit, über die Arbeit der Germanisten in Olomouc zu reden, über die Literatur und die Welt, und wieder staunte ich über die fabelhafte, von Humor gesättigte Bildung dieses Mannes, den ich vier Mal an seiner Wirkungsstätte erleben durfte, und wir verabredeten uns fest. Kommen Sie! Ich werde kommen, Verehrter.
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